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Jahrbuch `97 Stadt Schopfheim
Die Errichtung des Denksteines auf
dem Dossenbacher Friedhof
Anfang Juni des Jahres 1870 findet sich in den Nrn. 71
und 72 der Uehlinschen Zeitung
»Der Statthalter von Schopfheim«« folgende Notiz:
»Zur freundlichen Beachtung. Bis nächsten Sonntag. als
den 19. d. M. wird der Denksteinauf dem Freischaarengrabe zu Dossenbach
fertig gestellt sein und soll an diesem TageNachmittags 1/2 3 Uhr eine
einfache Einweihungsfeier stattfinden. Das Programm dieser Feier ist
vorerst: Sammlung der theilnehmenden Einwohner Dossenbachs und der Gäste von
auswärts beim Hirschen daselbst; Zug um halb 3 Uhr nach dem Friedhofe; Weihe
rede, gehalten durch Herrn Pfarrer Specht. Ob noch Grabmusik oder Gesang in
das Programm aufgenommen werden kann. hängt von dem. gewiß mit bestem Danke
entgegenzunehmenden, freiwilligen Erbieten betreffender Vereine ab und würde
eine vorherige Anmeldung beim Bürgermeisteramt Dossenbach sehr angenehm
sein. Besondere Einladungen werden nicht stattfinden, möge daher diese
Anzeige genügen, um alle die, welche dem bisher öden Grabe der Gefallenen
seine Zierde gönnen und ach die, welche sich an demselben einer stürmisch
bewegten Zeit in Frieden erinnern zu freundlicher Theilnahme an dieser
Weihefeier zu bewegen.« (1)
Sicherlich geht nicht fehl. wer als Triebfeder der
geplanten Gedenkveranstaltung den Herausgeber des „Statthalters“. Johann
Georg Uehlin, vermutet, hatte er doch selbst in den bewegten Tagen der
Revolutionszeit 1848/49 auf der Seite der Republikaner zu den Hauptakteuren
in Schopfheim gehört auf Dossenbacher- Gemarkung war am Morgen des 27. April
1848 ein Freischärlerzug unter Führung des deutschen Patrioten und Dichters
Georg Herweg von einer Württembergischen Militärpatrouille unter Führung
von Hauptmann Lipp, die von Wehr zurück zum Standort Schopfheim unterwegs
war, bei einem heftigem Gefecht, in dessen Verlauf 10 Freischärler fielen.
aufgerieben worden. Die toten Revolutionäre, von denen nur drei
identifiziert werden konnten, waren nach dem Gefecht auf dem Dossenbacher
Friedhof in einem Massengrab beerdigt worden. (2)
Die Schlacht bei Dossenbach gelangte im nachhinein zu
überregionaler Beachtung, war Anführer Herwegh doch in einem in ganz
Deutschland verbreiteten Flugblatt. dem »Guckkastenlied vom großen Hecker««
verspottet worden, in einer von seiner Frau gelenkten Kutsche, versteckt
unter dem Spritzenleder - einem Schutz gegen spritzenden Dreck - schmählich
den Schauplatz verlassen zu haben. und am Abend. als Bauerverkleidet. in die
Schweiz geflüchtet zu sein. (3)
Uehlin war es auch gewesen, der Herwegh brieflich
gebeten hatte, bei der geplanten Gedenkveranstaltung als Gastredner
aufzutreten, um bei dieser Gelegenheit das Mißlingen seines Unternehmens und
seine Flucht in die Schweiz endlich einmal selbst öffentlich darzustellen In
seinem Antwortbrief vom 17. Juni 1870 an Uehlin. (aufbewahrt im Museum
Schopfheim) (4), siehe dazu Anlage Nr. 1.
zeigt der mittlerweile in Baden-Baden lebende Herwegh
sich zwar erfreut, daß für diesen Anlaß an ihm gedacht worden war, sieht
sich jedoch außerstande, nach Schopfheim zu kommen. Er stellt sich als Opfer
der Zeitungsschreiber dar, die bis zum jetzigen Tage sein Andenken in den
Dreck zögen. Insbesondere das immer wieder zitierte »Märchen vom
Spritzenleder«, das seinen Ruf in Deutschlandruiniert habe, macht ihm zu
schaffen, dabei sei er von Mitkämpfern geradezu gedrängt worden, den
Kampfplatz zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen seinen Mut habe er
zur genüge dadurch bewiesen, daß er als Bauer verkleidet. Zusammen mit
seiner Frau, umgeben von württembergischem Militär, in Karsau auf dem Feld
gearbeitet habe. Als Zeugen dafür führt er die noch lebende Tochter des
Karsauer Bauern an, der ihm damals geholfen hatte. Verbittert führt er aus:
»Sie begreifen. werther Herr, aus dem Vorhergegangenen, daß ich nicht in der
Stimmung bin. an diesem Ort und an diesem Tag etwa als Festredner
aufzutreten, daß es endlich die Sache anderer ist, wenn Sie von diesen acht
Opfern (hier irrt Herwegh, es waren 10 Tote. der Verf. ) reden, auch meiner
als des neunten zu gedenken, um dem Hundevolk, das sich so scheußlicher
Waffen gegen mich bedient. endlich einmal die Wahrheit ins Gesicht zu
schleudern……Benützen Sie diese flüchtigst hingeworfenen Zeilen wie es Ihnen
gut scheint: grüßen Sie alle an dieser Erinnerungsfeier Theilnehmenden, alle
Treugebliebenen, und seien Sie selbst als solcher herzlich gegrüßt von Ihrem
ergebenen Georg Herwegh.«
Trotz der Absage Herweghs findet am Sonntag. dem 19.
Juni 1870. die geplante Gedenkveranstaltung auf dem Dossenbacher Friedhof
statt, worüber- wir im »Statthalter« lesen»….. hatte sich doch im Laufe des
Sonntag Nachmittags eine sehr beträchtliche Menschenmenge aus den
umliegenden Orten in Dossenbach eingefunden, welche sich mit den
Dorfbewohnern vereint dem Zuge auf den Kirchhof beigesellte, der, die
gutgeschulte Wehrer Feuerwehrmusik an der Spitze, um 1/2 3 Uhr nach dem
Friedhof sich bewegte.Um die Ordnung des Zuges und um die Aufstellung auf
dem Friedhofe machte sich ebenfalls die anwohnende Wiechser Feuerwehr
besonders verdient. Nach Vortrag einespassenden »Musikstückes und eines
ergreifenden Grabgesanges, den der Wehrer Gesangsverein, welchem sich der
Eichener angeschlossen hatte. ausführte. trat Herr Pfarrer Specht vor das
freundlichst geschmückte Grab. um eine Weiherede zu halten, die in schönster
Weise den Ursprung desselben und den Zweck des Denksteins erklärte und mit
den auf dem Male eingehauenen Worten »Friede ihrem Andenken« zu Friede in
der Gemeinde und im Volke, zu Gesetzlichkeit und Ordnung und zu treuem
Schaffen für das Ganze ermahnte.
Nach kurzer, wieder durch ein Musikstück ausgefüllten,
Pause geschah durch einen Nichtdossenbacher Mitbegründer des Denkmals (Uehlin'?,
d.Verf.) dessen Übergabe an die Gemeinde zu treuer Obhut, welche denn auch
Herr Bürgermeister Schmidt, sich im Namen aller Gemeindeangehörigen zur
Annahme bereit erklärend, freundlichst zusagte. Hiermit waren die
eigentlichen Festlichkeiten vorüber. und die ernste Stimmung. die sich auf
dem Friedhofe wohl aller Anwesenden bemächtigt hatte. verwandelte sich nach
dessen Verlassen im und ums Wirtshause, bei trefflicher Bewirthung, in
diejenige gemüthliche heitere Stimmung, welche überhaupt den Charakter
unserer Oberländer Feste bildet. Auch hierzu leisteten freundlichster Art
die anwesenden Gesang- und Musikvereine (auch die Hasler Musik war
mittlerweile angekommen) den anerkennenswerthesten Beitrag, -und wir wollen
nicht unterlassen. Ihnen hierfür den herzlichsten Dank auszusprechen, dem
sich gewiß alle Anwesenden gerne anschließen. Dieses festliche Leben
dauerte, wie der hierfür abgerufene Berichterstatter erfährt. in bester
Eintracht bis in die Nacht hinein und wird dem sonst so stillen Dorfe wohl
noch lange eine angenehme Erinnerung sein. Über dem Weihefeste schwebte die
schwarz-rot goldene Fahne.
Der Gedenkstein war vom Schopfheimer Stein- und
Bildhauer Stirzel gestaltet worden In einen einfachen Granitstein hatte
dieser eine einfache helle Marmortafel eingefügt Die schlichte Inschrift
lautet:
»Hier ruhen zehn Männer der Herweg'schen Freischaar.
gefallen im Kampfe am27. April 1848. Nahmen u. Heimat konnte nur ermittelt
werden von:
Ordemann aus Oldenburg, Karl Musecker. Rich.
Schimmelpfenig aus Preußen. Friede ihrem Andenken!
Errichtet im Frühjahr 1870.
Über die Finanzierung berichtet erneut der Statthalter-
. . . haben Geldbeträge geleistet:
Schon vor mehreren Jahren einige Ungenannte
von Schopfheim und Dossenbach |
8 fl. .- kr. |
Ergebnis einer Sammlung in Dossenbach |
10 fl. - 12 kr. |
Eine Anzahl von Deutschen in Zürich |
36 fl. - 24 kr. |
Herr Oberst v. Lipp in Stuttgart |
20 fl. - kr. |
Bei der Expedition d. Statthalters eingegangen |
9 fl. - 26 kr. |
Aus Rottweil am Neckar |
1fl. - kr.-(*6) |
Bemerkenswerterweise hatte also Oberst von Lipp. der
1848 als damaliger Hauptmann der Anführer der württembergischen
Militärpatrouille gewesen war, die Herweghs Truppe im Dossenbacher Wald
angegriffen hatte. und der in einem spektakulären Schwertkampf einen der
Beerdigten. den Freischarenleutnant Richard Schimmelpfenig. getötet hatte,
einen größeren Geldbetrag zur Errichtung des Gedenksteins gespendet. Dies
ist sicherlich, neben der persönlichen Anteilnahme eines Beteiligten. ebenso
wie die Tatsache, daß die gesamte Gedenkveranstaltung mit einer so breiten
Beteiligung der Öffentlichkeit stattfinden konnte. ein Hinweis darauf. daß
in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Streben der
Freischärler nach einem geeinten Deutschland stärkere Anerkennung fand und
für viele zu einer Neubewertung der Revolutionsereignisse führte. Der
Gedenkstein in der südwestlichen Ecke des Dossenbacher Friedhofs, neben dem
Eingang der Kirche, wird auch heute noch von der Gemeinde gepflegt und in
0rdnung gehalten.
Rudolf Burger
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Gedenkstein auf dem Dossenbacher
Friedhof
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Anmerkungen:
(l)
Statthalter v. Schopfheim Nr. 71 v. 14.6.1870 Nr. 72 17.6.1870
(2)
Dorneich J... der Zug Herweghschen Legion. in: Das-Markgräflerland N.F. 4
(1973) S. 111-130
(3)
Blum. H.. Die Deutsche Revolution 1848/49.-Leipzig 1898
(4)
Stadtarchiv Schopfheim. AZ 021.43'
(5)
Statthalter v. Schopfheim Nr. 74 v. 23.6. 1870
(6)
ebenda
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Herweghbrief vom 17. Juni 1870 (Original im Stadtarchiv
Schopfheim)
Baden-Baden
17. Junil 1870
8 Lichtenthalerstrasse
Verehrter Herr.
ihr Brief hat mich allerdings erst auf Umwegen, und
zwar hier in Baden-Baden getroffen, wo ich mich seit vier Jahren
niedergelassen habe. Es freut mich, daß Sie bei diesem Anlaß an mich gedacht
haben, weil ich daraus ersehe, wie Sie über mich denken. Ebenso dankbar bin
ich Ihnen, daß Sie sich in Betreff des Denksteins so viel Mühe gegeben.
Hätte man seiner Zeit meinen Rath befolgt so wäre dieses traurige
Erinnerungszeichen heute nicht nötig geworden.
Nachdem das Hecker'sche und Struv'sche Corps längst
zerstreut war, hatte unsere kleine Bande nichts mehr in Baden zu suchen und
meine einzige Pflicht war, die armen Leute wieder heiler Haut über den Rhein
zurückzuführen, den ich nie hätte überschreiten sollen. Die Erfüllung dieser
Pflicht wäre mir auch sehr leicht geworden. ohne den Verrath einiger
reudiger Schafe, die zu meinem Verderben in das Corps eingeschmuggelt worden
waren und ohne den Blödsinn einiger sogenannten Soldaten vom Fach, die zur
Zurücklegung eines Weges von 2-3 Stunden ungefähr 10 Stunden gebrauchten und
so dem Feind mit oder ohne Bewußtsein in die Hände arbeiteten.
Keinem Vernünftigen konnte es damals einfallen nachdem
in Baden alles verloren war - sich noch in ein Gefecht einlassen zu wollen,
und nie, ich sage es offen, sind Menschen nutzloser hingeopfert worden, als
an jenem unglückseligen Morgen. Zu diesen Opfern bitte ich Sie auch mich
selbst zu zählen, und zwar in erster Linie. Auf mich vor Allem war es
abgesehen, mich vor Allem galt es vor der Hand unmöglich zu machen und mir
den Eintritt in Deutschland zu verwehren. Fallen sollte ich (Gottlob steh
ich heure aufrechter da als je). Da mich die Kugeln nicht erreicht hatten,
so wurde eine Meute bezahlter Zeitungsschreiber gegen mich losgelassen, die
mir den Gnadenstoß durch. Verleumdung versetzen sollte. Das schöne Märchen
vom »Spritzleder« kennen Sie. Es ist hundertmal widerlegt worden, und muß
dem feigen deutschen Journalistenpack, wie ja auch endlich dem
nationalliberalen Redakteur der Freiburger Zeitung, immer wieder; wenn ihnen
in ihrer Armseligkeit kein anderes Mittel zu Gebot steht, als Waffe gegen
mich dienen.
Sie, verehrter Herr; haben jetzt gerade die schönste
Gelegenheit, sich an Ort und Stelle zu erkundigen, auf welche Weise meine
Frau und ich gerettet wurden. Die Tochter des Mannes, der uns auf dein Felde
zu Fuße herumirrend fand, und uns eine momentane Zuflucht in seinem Hause
anbot, um uns in Bauernkleider zu stecken, lebt noch und heißt Frau Rosine
Albietz, Tochter des Jakob Bannwarth in Karsau bei Rheinfelden. Dieselbe
kann ihnen bezeugen, daß wir bis spät Abends, umgeben von der
württembergischen (?) Cavallerie auf dem Felde arbeiteten, bis wir von einem
Schweizer, der aus Rheinfelden geholt worden war, als dessen Dienstleute an
dem feindlichen Posten vorbei über die Rheinfelder Brücke nach Rheinfelden
geführt wurden, also geradezu vor Allen am längsten mitten unter dem Feind
verweilt hatten. Leider hab ich die Namen derjenigen vergessen, die mich und
meine Frau um Gotteswillen baten - als das Gefecht, das nie eine Aussicht
auf Erfolg hatte, verloren war - uns vom Schauplatz des baren Unsinns zu
entfernen.
Sie begreifen. werther Herr, aus dem Vorhergegangenen,
daß ich nicht in der Stimmung bin, an diesem Ort und diesem Tag etwa als
Festredner aufzutreten. daß es endlich die Sache anderer ist, wenn Sie von
diesen acht Opfern reden, auch meiner als des neunten zu Gedenken, und dem
Hundevolk. das sich so scheußlicher Waffen gegen mich bedient, endlich
einmal die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. Ich bin allerdings auch von
vielen Seiten her warm verteidigt worden, aber noch lange nicht mir
derjenigen Energie, die ich zu erwarten berechtigt war und bin, ich schäme
mich fast es zu sagen, daß - (die Broschüre meiner Frau ausgenommen), was
der Wernhagen am Ende in seinen Denkwürdigkeiten sagte »daß die Wahrheit aus
jeder Zeile spricht» der loyalste, wenn auch nicht fehlerfreie. Bericht über
die Affaire bei Dossenbach aus feindlicher Feder geflossen ist, aus der
Feder des damaligen Württemberg. Hauptmannes, jetzigen Obersten, von Lipp.
dem ich diese meine Meinung persönlich auszusprechen im vorigen Jahr die
Ehre hatte, und der sicherlich erfreut war.
Benützen Sie diese flüchtigst hingeworfenen Zeilen -
denn ich bin mir der in den nächsten Tagen stattfindenden Hochzeit meiner
Tochter beschäftigt - wie es Ihnen gut scheint; grüßen Sie alle am dieser
Erinnerungsfeier Theilnehmenden, alle Treugebliebenen, und seien Sie selbst
als solcher herzlich gegrüßt von
Ihrem ergebenem
Georg Herwegh
Herweghbrief vom
17. Juni 1870 (Original im Stadtarchiv Schopfheim)
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